Dresden: Die Waldschlösschenbrücke ist flacher und anschmiegsamer als das Blaue Wunder. (Maßstabgerechter Silhouettenvergleich: Henry Ripke Architekten).
ddd

Dienstag, 14. Oktober 2008

Dresdner Brückenstreit: Was Brücken und was Tunnel können

Brückenstreit einmal anders – brieflich. Die beiden Dresdner Kulturveranstalter Hans-Joachim Trotzmann und Peter Sonderhaupt streiten sich per E-Mail.


Lieber Herr Trotzmann,


unverständlich ist mir, warum immer noch ein Teil der Brückenbefürworter so vehement gegen ein Lösung des Verkehrsproblems durch einen Tunnel ist. Den Sinn – eine Straße als Elbquerung – erfüllt doch ein Tunnel wie eine Brücke. Gleichzeitig jedoch belässt ein Tunnel die Elbwiesen, die für die Schönheit und den großen Lebenswert unserer Stadt unverzichtbar sind, in ihrer einzigartigen Schönheit. Denn, wie DIE WELT schreibt: „In seiner Wohnung legt man ja auch die Leitungen unter Putz – und lässt sich das sogar etwas kosten. Abwasserrohre müssen sein, aber sie müssen nicht unbedingt durchs Wohnzimmer führen! Diese Brücke zu verhindern ist eine Bürgerpflicht.“ Ein mir unbekannter Autor sagte einmal sinngemäß: „Jedes Ding lässt sich von drei Seiten betrachten: einer schöngeistigen, einer wirtschaftlichen – und einer vernünftigen.“ Aus meiner Sicht ist in diesem Streit nur ein Tunnel vernünftig. Er verbindet die verschiedenen Interessen statt sie – und damit uns – zu trennen.

Mit besten Grüßen
Ihr Peter Sonderhaupt

Daraufhin schickte Herr Trotzmann folgende Entgegnung an Herrn Sonderhaupt:

Lieber Herr Sonderhaupt,

Kultur entsteht durch Gestaltung – eine schöne Brücke ist allemal besser als ein Tunnel. Es geht nicht darum, Natur so zu belassen, wie sie ist (das ist auch nicht das Ziel der Welterbe-Konvention), sondern etwas menschengemäß zu gestalten. Wir bauen unsere Städte ja auch nicht unterirdisch, obwohl das längst technisch möglich wäre, nur weil wir die oberirdische Natur in ihrer Schönheit natürlich belassen wollen.

Es geht nicht darum, menschliche Gestaltungskraft möglichst zu verstecken, sondern sie zum Blickpunkt, zum weithin sichtbaren neuen Wahrzeichen, zu einem Höhepunkt zu machen – das ist „Bürgerpflicht“. Wer in dieser Frage der WELT vertraut, geht in die Irre. Das Beispiel mit den Leitungen, die man unter Putz legt, ist entlarvend, unzutreffend und unsinnig gleichermaßen! Es suggeriert nämlich, dass eine Brücke – ebenso wie der WELT zufolge eine Abwasserleitung – per se etwas Negatives ist, das zwar funktional notwendig, aber eigentlich so hässlich und störend sei, dass man es verstecken müsse... Eine solche Denkweise ist aus meiner Sicht sachlich unangebracht und zeugt von ideologisch bedingter Voreingenommenheit. Der Sinn einer solchen Brücke besteht eben nicht nur in der funktionalen Elbquerung! Er beinhaltet mehrere Aspekte – nur einer davon ist die reine Verkehrsführungslösung. Nicht von Ungefähr wurde die Brücke – nicht der Tunnel – zum Ausgangspunkt für ethisch positive Formulierungen und Gleichnisse. Menschliche Verbindungen über Schwierigkeiten und Probleme hinweg schaffen heißt „überbrücken“, nicht „untertunneln“, es heißt „Wissen schafft Brücken“ (was ja vor allem ethisch gemeint ist) und nicht „Wissen schafft Tunnel“... Eine Initiative der Evangelischen Kirche heißt „Brücken bauen“, nicht „Tunnel bauen“.
Über Brücken können Fußgänger gehen, Radfahrer sowie Busse und Straßenbahnen fahren, von ihnen können Blickbeziehungen in die Landschaft entstehen, sie können selbst zu Blickattraktionen werden, kurz: Brücken haben einen Erlebniswert, Tunnel – von Unfallängsten abgesehen – nicht. Tunnel bauen in heutiger Zeit, in der die schönsten Brücken möglich sind, ist immer nur eine Notlösung. Und zu der sind wir gegenwärtig überhaupt nicht gezwungen.

Tunnel – nicht Brücken, wie manche behaupten – sind steingewordene Hässlichkeiten. Wer für einen Tunnel ist, reduziert – Handlanger der Automobilideologie – den elbquerenden Verkehr auf reinen Autoverkehr und die mögliche kulturelle Funktionsvielfalt des Bauwerkes einzig auf die Schaffung der Voraussetzung, schnellstmöglich mit dem Auto von A nach B zu kommen.

Einige Gegner der Waldschlösschenbrücke empfinden die zur Realisierung bestimmte Brücke als hässlich und lehnen sie angeblich deshalb ab. Und dies, obwohl die jetzt aktuellen Planungen eine Brücke vorsehen, die bereits wesentlich schmaler und eleganter ist als das Blaue Wunder.

Dass sich die Gegner der jetzt geplanten Brücke – nachdem vor einigen Monaten die Bindungsfrist des Bürgerentscheides abgelaufen war – nun nicht für eine schönere, elegantere Brücke einsetzen, sondern für einen Tunnel, zeigt, worum es ihnen wirklich geht: um die Verhinderung einer Elbquerung überhaupt!

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Hans-Joachim Trotzmann


PS.: Die Namen der beiden Personen wurden geändert. Der hier veröffentlichte Schriftwechsel wurde redaktionell auf der Basis eines realen E-Mail-Wechsels gestaltet.