Dresden: Die Waldschlösschenbrücke ist flacher und anschmiegsamer als das Blaue Wunder. (Maßstabgerechter Silhouettenvergleich: Henry Ripke Architekten).
ddd

Dienstag, 31. März 2009

Wir erinnern: Ungarn - NATO - Kosovo. Vor zehn Jahren begann die Bombardierung Jugoslawiens


Novi Sad: 1999 von der NATO zerstörte Donaubrücke, im Vordergrund eine Gedenkstätte der Opfer des 2.Weltkriegs Foto: Uwe Schütz

Vor zehn Jahren, am 24. März 1999, begann die NATO ihre Luftangriffe gegen Jugoslawien. Diese angeblich nur gegen Militärziele gerichteten Angriffe markierten den Beginn des Kosovo-Krieges innerhalb der sogenannten Jugoslawienkriege. Diese Bombardierung wird von vielen Kritikern juristisch als Verstoß gegen das Völkerrecht angeprangert, weil sie ohne einen entsprechenden Beschluss des UN-Sicherheitsrates begann. Als Rechtfertigung der Bombardierung wurde angegeben, dass man Jugoslawien zwingen musste, die gewaltsame Vertreibung von Albanern aus dem Kosovo zu stoppen.

Schon vor zehn Jahren gab Mathias Bäumel der Dresdner Studentenzeitung „ad rem“ ein Interview zum Thema, das hier aus Gründen der Erinnerung wiederveröffentlicht wird:

Mathias Bäumel besucht seit Jahrzehnten schon Ungarn. Wie er unter dem „Ungarn-Aspekt“ den gegenwärtigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien einschätzt, hat er dem ad-rem-Chefeditor Andreas Herrman erzählt.

ad rem: Seit vielen Jahren haben Sie intensive persönliche Kontakte zu Ungarn. Somit haben Sie auch Einblicke in die ungarische Geschichte. Ergeben sich für Sie daraus spezielle Auffassungen zur gegenwärtigen Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO?

Mathias Bäumel: In mehrfacher Hinsicht. Zunächst war das Jugoslawien vor der Abspaltung Sloweniens, Kroatiens und Mazedoniens im wesentlichen ein Ergebnis des ersten Weltkrieges, eine Folge des Auseinanderbruchs der Donaumonarchie. Damals verlor Ungarn mehr als die Hälfte seines Territoriums – unter anderem die Vojvodina, in etwa das Gebiet zwischen Belgrad und der jetzigen ungarisch-jugoslawischen Grenze. Auch heute noch leben dort etwa 400.000 Ungarn, Städte wie Novi Sad (ungarisch Ujvidék) und Subotica (ungarisch Szabadtka) sowie die gesamte umliegende Gegend sind immer noch wesentlich von Ungarn bewohnt. Die NATO zerbombt dort auch eine ungarische Gesellschaft und Kultur. Mit der Begründung, die Rechte der einen Minderheit in Jugoslawien, der Kosovo-Albaner, zu reinstallieren, kann die Zerbombung der Kultur einer anderen Minderheit, der ungarischen, nicht gerechtfertigt werden. Angesichts der Bomben auf ungarisches Minderheitengebiet in Jugoslawien kann niemand den NATO-Behauptungen, es ginge um Minderheiten-Menschenrechte, glauben. Zum anderen: Besonders nach der politischen Wende in Ungarn mehrten sich die dortigen Stimmen von rechtsaußen, die auf ein „Heim-ins-ungarische-Reich“ der nach dem ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete drängten. Die Tatsache, dass die NATO den bewaffneten Kampf der kosovo-albanischen UCK, der letztlich die Abtrennung des Kosovo von Jugoslawien zum Ziel hat, gewähren lässt und mit den Bombardierungen de facto unterstützt, lässt in Ungarn Rechtsaußenpolitiker aktiv werden. So verlangt der ungarische Politiker Zsolt Lányi, dass im Rahmen einer „Nachkriegsregelung“ die Vojvodina ein unabhängiger Staat werden sollte. Hier wird klar, dass die Bombardierungen durch die NATO nicht nur die Zukunft einer Region verunsichern, sondern auch innenpolitische Instabilitäten in Ungarn selbst hervorrufen könnten. Die Bombardierungen brüskieren auf diese Weise einen Bündnispartner, von dem man weiß, dass er ob seiner Schwäche stillhalten muss.

Und die Geschichte des Kosovo?

Die ist, wie bei genauerem Hinsehen alle Historie, sehr komplex. Im Kosovo, einem ur-serbischen Gebiet, wurden die serbischen Könige gekrönt, war früher ein Zentrum der serbisch-orthodoxen Kirche und Kultur. Wie eigentlich überall auf dem Balkan lebten auch im Kosovo, unabhängig von den konkreten Herrschaftsverhältnissen, stets mehrere Nationen zusammen, darunter vor allem Serben und, zu etwa meist um die zwanzig Prozent, Albaner. Dass sich während der langen Zeit der osmanischen Besatzung die Serben im eigenen Land als die Unterdrückten begriffen, die muslimischen Albaner jedoch kulturell eher einvernehmlich mit den Besatzern auskamen, leuchtet ein. Doch erst in historisch jüngerer Zeit kam es zur „Albanisierung“ des Kosovo, und zwar durch drastische Ereignisse, die den Serben ins geschichtliche Bewusstsein graviert zu sein scheinen. 1941 trieb albanische faschistische Polizei im Interesse des faschistischen Italiens zehntausende Serben aus großen Teilen des Kosovo hinaus, 1944 metzelte die albanische Freiwilligen-SS-Gebirgsjägerdivision „Skanderbeg“ ebenfalls zig zehntausende Serben und trieb sie aus deren eigenem Land. Da war dann Titos Nationalitätenpolitik, die das Einsickern vieler Albaner in den Kosovo gewähren ließ und die in der Etablierung der Autonomie des Kosovo „gipfelte“, nur das sogenannte Pünktchen auf dem i. Wenn die Weltpolitik wirkliches Interesse an einer stabilen, menschenrechtlich regulären kosovarischen Gesellschaft gehabt hätte, hätte man mit UNO-Mandat sofort die UCK-Kämpfer entwaffnen und – wie bei anderen Krisenherden auch – den mühevollen Weg von Verhandlungen beschreiten sollen.

Wie sehen Sie die Rücknahme des Autonomie-Status für die Vojvodina und für den Kosovo Anfang der neunziger Jahre durch die jugoslawische Regierung? Liegt dort eine Ursache des Übels?

Jein. Beide Autonomien spielten bei ihrer Einführung für die Serben innerhalb Jugoslawiens ganz verschiedene Rollen. Dass der Kosovo damals Autonomie-Status erhielt, musste der einfache Serbe als Bedrohung empfinden – wurde dadurch doch die Zurückdrängung der Serben aus einem ihrer Kulturgebiete und die ständige Verkleinerung ihrer kulturellen und regionalpolitischen Rolle im Kosovo festgeschrieben. Den Autonomie-Status der Vojvodina jedoch konnten die Serben positiv sehen - nämlich als Interimszustand auf dem Wege einer völligen staatspolitischen Integration eines Gebietes, das Hunderte Jahre stets zu Ungarn gehört hatte. Die Etablierung der Kosovo-Autonomie unter Tito schrieb aus der Sicht der Serben einen durch Faschismus und Titoismus erlittenen Verlust, die der Vojvodina einen Zugewinn fest. Die Rücknahme der beiden Autonomie-Zustände bedeutete aus der Sicht der Serben im Falle des Kosovo den Beginn des Rückgängigmachens von unrechtem Verlust, im Falle der Vojvodina die Zementierung der Integration von einst fremden Gebieten. Wenn überhaupt von großserbischem Machtstreben die Rede sein könnte – immerhin sah der Vertrag von Dayton die Umsiedlung von etwa 500.000 Serben aus ihren angestammten Krajina-Gebieten vor –, dann höchstens im Falle der Vojvodina. Die dortige ungarische Minderheit hat sich aber stets – im Gegensatz zu den Kosovo-Albanern – mit friedlichen Mitteln um die Lösung ihrer Probleme bemüht. Mit den NATO-Bomben auf die Vojvodina werden die dortigen Ungarn dafür offenbar bestraft. Hinsichtlich der politischen Kultur bleibt festzustellen: Die Bomben auf Nordjugoslawien bestrafen das ständig friedliche Mühen der dortigen ungarischen Minderheit und bekräftigen gleichzeitig den Einsatz von Waffengewalt zur Regelung von Minderheitsproblemen durch die kosovo-albanische UCK-Separatisten im Süden.