Dresden: Die Waldschlösschenbrücke ist flacher und anschmiegsamer als das Blaue Wunder. (Maßstabgerechter Silhouettenvergleich: Henry Ripke Architekten).
ddd

Montag, 6. September 2010

Von der Unsitte des Deppenapostrophs – das Zeitalter von »Meier's Gaststätte« ist beendet

Es ist eine mittlerweile weit verbreitete Unsitte, bei Wörtern im Genitiv oder im Plural einen Apostroph vor dem »s« einzufügen, wie zum Beispiel bei »Meier’s Gaststätte« oder den »großen Kino’s«. Bissige Zeitgenossen bezeichnen eine solche Verwendung gern einmal als Apostrophitis – eine Krankheit! –, den falschen Apostroph als »Deppenapostroph« oder gar als »Kapostroph«.

Was steckt dahinter?

In der deutschen Sprache markiert ein Apostroph eine Auslassung von Buchstaben, etwa in »das gibt’s«, in Versen wie »ew’ge Jugend« oder zwecks Kürze bei »K’lautern«.

Beim Genitiv oder im Plural hingegen wird in der Regel nichts ausgelassen. Der falsche Gebrauch des Apostrophs ist vielmehr ein typisches Beispiel von »Denglisch « – der Übernahme von Elementen aus dem Englischen in unsere Muttersprache. Im Englischen wird das Genitiv-s mit Apostroph an das Wort angefügt – McDonald’s kennt wohl jeder! Doch auch im Englischen gibt es keinen Apostroph vor dem Plural-s, ebenso wenig wie im Deutschen: Angeboten werden eben nirgendwo CD’s sondern schlicht CDs. Große Kinos haben wohl manchmal ein McDonald’s in der Nähe, wer das nicht mag, geht jedoch höchstens in Meiers Gaststätte um die Ecke.

Jeder sollte in Zukunft einfach etwas mehr auf solche vermeintlichen »Neuerungen « achten: Unsere deutsche Sprache ist es wert, erhalten und gepflegt zu werden. Und dazu kann jeder beitragen.

Dr. Berit Haritonow,
Vorsitzende des Landesverbandes
Sachsen des Bundesverbandes der
Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ)

erschienen in Dresdner Universitätsjournal 18/2009

Freitag, 30. Juli 2010

Blick nach Westen - Autoklau und warum die Osteuropäer immer schuld sein sollen

(Wohin des Wegs? Foto: Rainer Sturm / pixelio)

In Polen und Tschechien werden unsere deutschen Autos geklaut. Auch wer in der Nähe der polnischen oder tschechischen Grenze lebt, dessen Autos sind stark gefährdet. Kaum ein Zeitungsartikel, kaum ein TV-Beitrag, der nicht den Osten als Gefahrenzone für seriöse Autoleben und die Bürger Osteuropas als potenzielle Autodiebe verunglimpft. Vor dem Fernsehgerät sitzend kann man darauf warten, dass der Reporter einen „rollenden“ Oberlausitzer vor die Kamera zerrt, der empört über die unhaltbaren Zustände schimpft.

In Rom stellen deutsche Touristen ihren Golf sorglos auf dem Parkplatz ab, nach Prag würden sie „niemals!“ mit dem eigenen Auto fahren. Eine im September 2008 referierte Studie zeigt jedoch: Auto-Diebstähle kommen in Italien weit häufiger vor als in anderen europäischen Ländern. Bei einem Städtevergleich fanden sich unter den zehn Kommunen, in denen 2004 europaweit die meisten Auto-Diebstähle registriert wurden, gleich sieben italienische Städte.
Diese Auto-Diebstahlsstatistik führt die süditalienische Stadt Caserta an, es folgten Catania, Neapel, Turin, Rom und Mailand. Erst auf Platz sieben lag mit Manchester die erste nicht-italienische Stadt!

In den Vergleich wurden insgesamt 258 Städte in allen 27 EU-Staaten, also auch Städte in der Tschechischen Republik und Polen, einbezogen. (Quelle: diepresse.com)

Wovon also soll mit der Schuldzuweisung an Osteuropäer abgelenkt werden?

Etwa davon, dass fast jeder Autodiebstahl den Autokonzernen hilft, mehr Autos zu verkaufen? Und zwar auf Kosten der Autobesitzer, die mit ihren durch die Diebstähle erhöhten Kaskoprämien den Herstellern fast im Selbstlauf Zusatzverkäufe bescheren. Je mehr Autos geklaut werden, desto mehr Absatz macht der Konzern.

Dass Politiker ausgerechnet die Autokonzerne als Partner im Kampf gegen den organisierten Autodiebstahl mit ins Boot holen wollen, scheint so bitter nötig wie aussichtslos.

Denn wenn die Konzerne nur wollten, könnten sie – schon immer.

M. B.

Dienstag, 20. Juli 2010

»Bachelorisierung« der Hochschulen ist keine Folge von Bologna, sondern ein deutsches Problem

Die (Wieder-)Einführung von Diplomstudiengängen an der TU Dresden ist zum öffentlichen Thema geworden. Dabei wird vergessen, dass der Bologna-Prozess das Ersetzen der Diplom-Studiengänge durch die zweistufigen Bachelor-Master-Studiengänge überhaupt nicht gefordert hatte!

In seinem Interview im Dresdner Universitätsjournal 3/2010 hatte Prof. Kurt Reinschke unter dem Titel »Akademische Abschlüsse und was Bologna eigentlich will« deutlich gemacht, dass die »Bachelorisierung« der deutschen Hochschulen nicht eine Folge aus internationalen Verträgen, sondern ein hausgemachtes deutsches Problem ist.

Hier ein kleiner Ausschnitt aus diesem Interview:

UJ: Unter »Bologna« versteht man in der Öffentlichkeit nicht nur die Schaffung eines international vergleichbaren Systems von Studienabschlüssen, sondern auch die Einführung eines zweigestuften Bachelor-Master-Studiums …

Prof. Kurt Reinschke: Über den Bologna-Prozess wird in den deutschen Medien oft falsch berichtet. So schrieb in der »Sächsischen Zeitung« vom 17./18. Oktober 2009 der für Hochschulfragen zuständige Redakteur: »Bachelor ersetzt das Diplom: Begonnen hat dies vor 10 Jahren. Europa hatte damals beschlossen, für seine jungen Leute einen einheitlichen, großen Hochschulraum zu schaffen. Jeder sollte überall studieren können und auch seinen Abschluss bekommen … Zwei Stufen muss dieses Studiensystem haben: Bachelor und Master. Das war das Aus für das deutsche Diplom. Jetzt gibt es nach drei Jahren den Bachelor, und nach nochmals zwei Jahren den Master …«

Tatsächlich aber kommen in den Vereinbarungen, die europäische Bildungsminister in Bologna (1999), Prag (2001), Berlin (2003), Bergen (2005), London (2007) und Leuven (2009) unterzeichnet haben, die Abschlussgrade »Bachelor« und »Master « überhaupt nicht vor. Vielmehr sollen die unterschiedlichen nationalen akademischen Grade beibehalten und ihre internationale Vergleichbarkeit in einem »Diploma supplement« beschrieben werden. In Übereinstimmung mit der völkerrechtlich verbindlichen Lissabon-Konvention sind die Bildungsminister sogar verpflichtet, die kulturelle Vielfalt zu pflegen und die multilinguale Tradition des europäischen Hochschulraumes zu stärken! Die »Bachelorisierung « der deutschen Hochschulen folgt nicht aus internationalen Verträgen und Zwängen, sondern ist ein hausgemachtes deutsches Problem.

Wobei der »Bachelor« vor allem als Berufsabschluss gesehen wird. Wie kam es zur Einführung des »Bachelor« und des »Master« an unseren Hochschulen?

Nachdem die Top-Manager zu Beginn der 1990er Jahre das Wirtschafts- und Finanzsystem aus seinen früheren Bindungen gelöst (und damit die Zeitbomben für die jetzige Wirtschafts- und Finanzkrise gelegt) hatten, forderte der Europäische Runde Tisch der Großindustriellen auch eine Umstrukturierung des gesamten Bildungswesens. Die Top-Manager publizierten im Februar 1995 in dem Bericht »Education for Europeans – Towards the Learning Society « ihre Zielstellungen:
• eine vollständige Abstimmung auf die Bedürfnisse der europäischen Wirtschaft,
• Schaffung einheitlicher Bildungsstandards in ganz Europa,
• in allen europäischen Ländern kompatible Abschlüsse, die in den neuen, sich ändernden Arbeitsumgebungen von Wert sind,
• Schlüsselqualifikationen (interpersonal skills),
• Modularisierung der Studiengänge,
• bessere Kooperation zwischen Universitäten und Industrie.
Der Bertelsmann-Konzern gründete 1994 in Gütersloh ein Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) als »Reformwerkstatt « für das deutsche Hochschulwesen. Das CHE arbeitet seitdem an der Umgestaltung des deutschen Bildungssystems und wird dabei von der Hochschulrektorenkonferenz unterstützt.
Die politische Wirksamkeit des CHE schlug sich schon während der letzten Schwarz-Gelben Regierung Kohl im »Vierten Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes« nieder. Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) verkündete seinerzeit: »Humboldt ist tot«, und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) empfahl die Umstellung der deutschen akademischen Grade auf Bachelor, Master und Ph.D. Sachsens damaliger Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer (CDU) warnte 1999 als Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK) vergeblich vor einer »unüberlegten Amerikanisierung « des deutschen Hochschulsystems. In der Rot-Grünen Regierung Schröder setzte sich die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) mit dem Schlachtruf »Alte Zöpfe gehören abgeschnitten« für radikale Änderungen ein. Das Wesen des Bologna-Prozesses wurde in der Öffentlichkeit häufig verzerrt oder gar falsch dargestellt. Dadurch bot sich Gelegenheit, den Prozess zu instrumentalisieren, Traditionsbrüche zu bemänteln und die Einführung der in den internationalen Vereinbarungen der Bildungsminister gar nicht vorkommenden Abschlussbezeichnungen »Bachelor« und »Master« in Deutschland zu betreiben.

Das gesamte, über eine Zeitungsseite gehende Interview findet man hier (pdf-Anzeige), bitte zur Seite 3 scrollen.

M. B.