Dresden: Die Waldschlösschenbrücke ist flacher und anschmiegsamer als das Blaue Wunder. (Maßstabgerechter Silhouettenvergleich: Henry Ripke Architekten).
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Dienstag, 1. November 2011

Kultur der Massenmedien als »Geburtshelfer« der Fankultur im Fußball

Gedanken zur Berichterstattung nach dem Fußballspiel Borussia Dortmund gegen Dynamo Dresden – Sanktionierungssystem ist kontraproduktiv

(Die Fans von Dynamo Dresden treiben die Spieler immer wieder zu besseren Leistungen an. Sie sind nicht zu verwechseln mit gewaltbereiten Kriminellen. Foto: www.photoarena.de)

Fußballpokalspiel Borussia Dortmund gegen Dynamo Dresden: Kaum ein anderes Ereignis in Deutschland rief unmittelbar nach Bekanntwerden so viele Druckzeilen und Sendeminuten hervor wie die mutmaßlichen Ereignisse während des und unmittelbar nach dem Geschehen(s) in Dortmund am vergangenen Dienstag (25. Oktober 2011).

Die Meinungsmacher in der Gesellschaft der »Zeichensetzer« setzten wieder einmal ein Zeichen gegen den Dresdner Verein. Dahinter stand wohl auch diesmal diebische Freude: Gut, dass es mal wieder Gelegenheit gibt, diesen Bastard aus dem Osten weithin als Gefahrenherd für die öffentliche Sicherheit zu diffamieren. Dass das Zweite Deutsche Fernsehen mit Sportreporter Wolf-Dieter Poschmann und Marietta Slomka im heute-journal in dieser Frage an vorderster Front »kämpfte« und einseitige, zu Lasten Dynamo Dresdens und der sächsischen Landeshauptstadt gehende Bewertungen vornahm, ist empörend.

Wenigstens die Dresdner Neuesten Nachrichten kritisierten dies. Thomas Scholze schrieb in der Ausgabe vom 27. Oktober 2011:

»Gejammer an Stelle sachlicher Information, Vermutungen statt Fakten, im Interview mit Dortmunds Polizeidirektor Peter Andres keine Fragen zum trotz etlicher Vorwarnungen unzureichenden Sicherheitskonzept der Dortmunder Polizei. Und zweierlei Maß in der Beurteilung: ›Weltuntergang‹ im Signal-Iduna-Park, aber keine kritischen Bemerkungen der jeweiligen Kommentatoren zu den ›Pyro-Shows‹ bei den Spielen in Trier und Unterhaching (da im Bochumer Block). Das Feuerwerk der Kölner Fans in Hoffenheim fand der Sender sogar ziemlich klasse, es sei ja schließlich bald Karneval und ein ›gewollter Kontrast‹ zum in der SAP-Arena heimischen Eventpublikum. Und in Heidenheim befand das ZDF: ›Zündelfreunde bereichern die Ostalb.‹ Nach keiner dieser Partien wurde ein einziger ZDF-Gesprächspartner zu den verbotenen Feuerspielen befragt. In Dortmund schon. Böse (das weiß man ja) sind die Ossis – so sehen die ›Mainzelmännchen‹ die Welt.«

Der Fußball-Soziologe und Fachbuch-Autor Michael Rautenberg hob in einem längeren Interview zum Thema »Fußball, Gewalt und Massenmedien« bereits vor drei Jahren im Dresdner Universitätsjournal 18/2008 (11. November 2008) hervor, dass die Kultur der Massenmedien Geburtshelfer der Fankultur ist. Es gäbe in den meisten europäischen Ländern keine Sportart, die eine vergleichbare Aufmerksamkeit der Medien hat, wie der Fußball. Da die »Massenmedien (Presse und Fernsehen) immer mehr Notiz von den Scharmützeln beim Fußball nehmen«, bietet der Fußball und die um ihn angelagerten Szenen für bestimmte Randgruppen beste Gelegenheit, in der Gesellschaft wenigstens wahrgenommen zu werden, ein Gemeinschaftsgefühl als »Andersseiende« und eine Art von Selbstwertgefühl als Kämpfer gegen etablierte Mächte zu entwickeln. Zumindest dann, wenn immer wieder ausführlich in den Massenmedien berichtet wird! Das schadenfrohe Senden der Bilder von Dortmund als Endlosschleife spielt gerade diesen Gewalttätern in die Hände und wird – vielleicht ungewollt – zum Helfershelfer des Radaus.

Keine Frage: Schläger und Pyromanen müssen ausfindig gemacht und vor Gericht gestellt werden. Wenn es die Rechtslage erlaubt, am besten vor ein Schnellgericht.

Warum aber können die Radauextremisten überhaupt solche Pyrotechnik ins Stadion schmuggeln? Die kann man nicht einfach unterm Hemd verstecken, und in solchen Mengen gleich gar nicht. Antwort: Ohne »Hilfe« der Einlasser geht das nicht.

Also ebenfalls keine Frage: Gegen die, die für die Sicherheit und für die Kontrollen im Dortmunder Signal-Iduna-Park verantwortlich waren, muss ebenso ermittelt und gegebenenfalls geurteilt werden.

Eins ist klar: Jeder Fan jedes beliebigen Vereins kann sich in die Farben des Konkurrenzvereins kleiden und Raketen abfeuern, jeder Sicherheitsmitarbeiter am Einlass kann Pyrotechnik und Flaschen bei den ins Stadion strömenden Gästefans geflissentlich übersehen. Deshalb ist das Sanktionierungssystem, bei dem die Vereine für die Gewalt von Kriminellen bestraft werden, kontraproduktiv. Denn damit macht man die Vereine vom Willen dieser Kriminellen abhängig oder gar erpressbar. Süffisant stellte mancher Journalist nach dem Dortmund-Spiel am 25. Oktober die Frage, wie lange sich ein Sponsor solche Randale bieten lassen könne. Was den Dynamo-Sponsor Veolia sogleich veranlasste, seinen Ausstieg anzudrohen.

Auf diese Weise haben es Kriminelle in der Hand, die Geschicke im Fußball mitzusteuern!

Ganz abgesehen davon, dass diese Art Sanktionierung grundlegenden Rechtsregeln widerspricht. Man kann Herrn Müller nicht für das Verbrechen des Herrn Lehmann verurteilen, nur weil Lehmann während seiner Tat die Lieblingsfarben Müllers getragen und »Es lebe Müller« gebrüllt hat.

So lange das aber so bleibt, haben Drahtzieher im Hintergrund sowie Zeichensetzer vor Kameras und an Tastaturen immer wieder Chancen, die Taten von Kriminellen mit geballter Aufmerksamkeit zu »adeln« und damit gegen manche Vereine Stimmung zu machen.

M. B.