Dresden: Die Waldschlösschenbrücke ist flacher und anschmiegsamer als das Blaue Wunder. (Maßstabgerechter Silhouettenvergleich: Henry Ripke Architekten).
ddd

Dienstag, 24. März 2015

An welche Geschichte ich beim Thema Griechenland denken muss

Da hat sich einer schon vor einigen Jahren so richtig reingeritten. Über seine Verhältnisse gelebt. Hat beispielsweise gestattet, dass sein Hausmeister, seine Müllabfuhr, sein Klempner und andere doppelt und dreifach kassieren. Hat – natürlich aus Gründen der Tradition und des Anstandes – sich eine Schar Popen gehalten, die zu nichts nutze waren, die er aber natürlich, aus Gründen der Achtung vor der Vergangenheit und der Kultur, bezahlte. Einschließlich der teuren Popenpaläste.

Hat sich einfach überschuldet, der Mann. Und jeder wusste das. Natürlich auch die, die ihn einluden, in ihren Verein einzutreten. Wenn er erst einmal im Verein drin wäre, könne er auch die Währung des Vereins nutzen. Er werde sehen, dass er dann bald noch besser leben könne.

Alle klopften sich beim Eintritt auf die Schulter, und der Vereinsvorsitzende lieh dem armen neuen Mitglied erst einmal eine Stange Geld, mit dem Hinweis, der müsse aber im Gegenzug sparen. Der Vereinsvorsitzende freute sich, denn – bei deftigen Zinssätzen – war recht bald eine Rückzahlung fällig. Deswegen brauchte der arme Mann neues Geld. Kein Problem, er müsse nur weiter sparen wollen. Der arme Mann verschuldete sich also immer weiter, er musste immer wieder zuerst die hohen Zinsen (deutlich höhere als jetzt üblich) und dann die Schulden-Raten zurückzahlen. Der Vereinsvorsitzende jedoch rieb sich in die Hände, machten er und seine Bank doch ständig gute Gewinne mit dem neuen, finanzschwachen Mitglied.

Nun aber rebellierten die Kinder und die Verwandten und die Freunde des armen Mannes, sie bestimmten einen neuen Interessenvertreter. Der ging zum Vereinsvorsitzenden und sagte: »Lieber Vereinsvorsitzender! Ich weiß, dass vieles in der Vergangenheit in meiner Familie nicht gut gelaufen ist. Das ist schlimm, aber dafür kann ich nichts. Aber es würde uns zugrunde richten, wenn ich immer neue Schulden aufnehmen soll, nur um die bisherigen zu bezahlen. Wir sind schon längst überschuldet, und eine rasant steigende Schuldenlast würde zum Zusammenbruch führen. Deswegen können wir nicht mehr zahlen.«

Der Vereinsvorsitzende, der seine finanziellen Felle wegschwimmen sah, reagierte böse und angriffslustig. Der neue Interessenvertreter solle sich gefälligst an die Abmachungen halten und zwei Dinge tun: zahlen und sparen. Vor allem zahlen.

Nun, liebe Leser, treten wir einmal ein paar Schritte zurück, um die Sache möglichst gut betrachten zu können.

Jeder Schuldnerberater würde in Sachen dieses überschuldeten Vereinsmitgliedes den Weg in eine geordnete Insolvenz empfehlen – mit dem Ziel, dass der arme Mann bald wieder, nach einigen Jahren, zu einem seriösen, wirtschaftlich auf sicheren Beinen stehenden Leben zurückfinden kann. Kein seriöser Schuldnerberater würde die Aufnahme weiterer Kredite empfehlen.
Im Gegenteil: Eine Bank, die hier neue Kredite empfiehlt oder gar unter Drohungen durchdrückt, würde wohl als unseriös gelten und sehr schnell ins Fadenkreuz der Verbraucherschützer geraten.

Soll dieser Fall also behandelt werden, als ginge es um immer wieder neue Bankgespräche zur Aufnahme neuer Kredite? Dies würde vor allem den Banken helfen und den Schuldner immer wieder reinreiten. Das wäre also keine Hilfe, und erst recht keine unter Freunden. (Es gibt aber im Vereinsvorstand eine ganze Reihe von Funktionsträgern, die heuchlerisch so tun, als sei ihre Vergabe von Krediten ein Freundschaftsdienst.)
Oder soll dieser Fall so behandelt werden wie die Insolvenz eines völlig überschuldeten Hilfesuchenden? Wie bei einer Privatinsolvenz würden dabei einige einiges Geld verlieren (vielleicht nicht so viel wie sie bis dahin gewonnen hatten), aber der arme Mann und dessen Familie hätte wieder eine Chance auf Zukunft. – Natürlich: Auch in diesem Fall müsste der Betroffene sparen. Das hätte auch Konsequenzen für die eingangs benannten Hausmeister, Klempner, Müllabfuhr und so weiter – und die Popen, die bisher aus dem Säckel des Überschuldeten lebten.

M. B.

Freitag, 20. März 2015

Christliches Abendland, Islam und der Orient

Plakativer Umgang mit Begriffen verschleiert die Realität



(Cordoba, Moschee La Mozquita innen. Foto: Hans Peter Schaefer, Wikipedia)


Christliches Abendland, Islam und der Orient – fast reflexartig werden diese Begriffe in den derzeitigen Diskussionen um die Frage, ob und wie der Islam zu Europa gehört, vor allem von Parteipolitikern im Munde geführt. Und sie werden häufig auch von Journalisten und Wissenschaftlern unkritisch übernommen. Im Sprachgebrauch wird dabei unterstellt oder unterschwellig nahegelegt, dass »Islam« und »Abendland« ein Widerspruch, dass das »Abendland« christlich und der »Orient« dem »Abendland« religiös und kulturell entgegengesetzt sei.

Die reale Geschichte Europas und der christlichen wird dabei ebenso außer Acht gelassen wie die der islamischen Kultur.

Das »Abendland« (damit ist West- und Mitteleuropa gemeint, im Gegensatz zum »Morgenland«) ist für viele Jahrhunderte ganz wesentlich von islamischer Kultur, von islamischer Kunst, Architektur und Wissenschaft, mitgeprägt.
Besonders in den Gebieten des heutigen Portugals und Spaniens war das an der Pracht der faszinierend ausgestatteten und nur durch ein Höchstmaß wissenschaftlichen Niveaus möglich gewordenen Moscheen beispielhaft sichtbar. Hier kann man durchaus davon sprechen, dass die damalige kulturelle Blüte Westeuropas bis ins 15. Jahrhundert hinein wesentlich von den Leistungen islamischer Kultur hervorgebracht beziehungsweise geprägt wurde. »Abendland« im eigentlichen Sinne und »Islam« gehörten damals für lange Zeit zusammen.

Mehr noch: Diese Blüte wurde teilweise durch politisches Kalkül aus dem Bereich der römischen Kirche zerstört. Im Zuge der schrittweisen Eroberung der Iberischen Halbinsel durch die Mächte der römischen Kirche vom 8. bis zum 16. Jahrhundert – zuvor gehörte beispielsweise Andalusien den Karthagern, Römern und Vandalen; das Christentum spielte kaum eine Rolle – wurden viele Moscheen zu christlichen Kirchen umgebaut.
Die einstige Hauptmoschee in Cordoba – al-Dschāmiʿ al-kabīr / Dschāmiʿ Qurṭuba – aus der Epoche des maurischen Spaniens (erbaut von 784 bis 987, kurz: La Mozquita) zählte zu den prächtigsten und spirituellsten Gebäuden Europas jener Zeit. Nachdem das faszinierende Gebäude der Dschāmiʿ Qurṭuba bereits 1236 zur christlichen Kirche geweiht worden war, begann im Jahre 1523 der entscheidende Umbau von Cordobas glanzvoller ehemaliger Hauptmoschee zur Kathedrale.
Die Umbauten stießen schnell auf den energischen Widerstand des Stadtrates und der Bevölkerung von Córdoba, konnten aber schließlich doch durchgesetzt werden, da der Habsburger Kaiser Karl V. (Karl I. von Spanien) letztlich den Umbau billigte. Als Karl V. jedoch das Ergebnis sah, soll er seine Umbau-Genehmigung bereut und gesagt haben: »Ihr habt etwas zerstört, was einmalig war, und habt stattdessen etwas hingesetzt, das man vielfach auch andernorts antreffen kann.« Leider hat Karl V. nach (kirchen)politischen Überlegungen entschieden, anstatt sich von seinem künstlerisch-fachlichen Urteilsvermögen leiten zu lassen. Die Moschee als Ganzes in ihrer einstigen überwältigenden Pracht war unwiederbringlich verloren.
Dies ist ein einprägsames Beispiel für den manchmal eingetretenen künstlerisch-kulturellen Rückschritt in Westeuropa durch die sich ausdehnende politische Macht der römischen Kirche.

Auch im Osten finden wir Beispiele dafür, dass die plakative, polarisierende Verwendung der Begriffe »Islam«, »Abendland«, »Orient« und »Christenheit« eher zur Verschleierung wirklicher Verhältnisse führt.
Byzanz wurde zwischen 326 und 330 vom römischen Kaiser Konstantin I. als neue Hauptstadt des römischen Reiches umgebaut (»Konstantinopel«). Die heute Istanbul genannte Stadt markiert den Beginn der sogenannten konstantinischen Wende, in deren Verlauf aus der einst staatlich diskriminierten und phasenweise blutig verfolgten christlichen Kirche eine zunächst geduldete, dann rechtlich privilegierte Institution und schließlich durch Theodosius (Kaiser von 379 bis 394 ) eine Reichskirche wurde. Mit anderen Worten: Der Aufstieg entstehender christlicher Institutionen zu einer Staatskirche, damit die enge Verbindung von weltlicher und christlich-kirchlicher Macht in Europa, begann nicht im »Abendland«, sondern im Osten, an den Toren zum Orient.

Die plakative Gegenüberstellung von »Abendland« und »Islam« sowie von »christlichem Abendland« und Orient ist zwar ein Lieblingsideologem der (meist CDU-nahen) Politik, spiegelt aber die historische Realität nicht angemessen wider. – Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem die Fremdenhetze kroch …

Mathias Bäumel