Dresden: Die Waldschlösschenbrücke ist flacher und anschmiegsamer als das Blaue Wunder. (Maßstabgerechter Silhouettenvergleich: Henry Ripke Architekten).
ddd

Freitag, 16. Oktober 2015

Dumm und verlogen: Ein kurzer Streifzug durch die Welt von Pegida-Anhängern und Politikern

Besonders in den jüngsten Monaten wird man im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingssituation und der Pegida-Propaganda fast erdrückt von dummen, verlogenen, aber dennoch fast überall akzeptierten Behauptungen. Zum Beispiel von folgenden:

Das Boot ist voll, unsere Aufnahmefähigkeit ist erreicht.
Auch wenn man annimmt, dass bis zum Ende des Jahres 1,5 Millionen oder bis Ende 2016 etwa 3 Millionen Asylbewerber kommen werden, sind das lediglich rund 2 beziehungsweise 3,7 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands.

Zum Vergleich:
Nach dem Zweiten Weltkrieg, zwischen 1944/45 und 1950, waren von Flucht und Vertreibung zwischen 12 und 14 Millionen Deutsche aus Schlesien, Ostpreußen, dem Sudeten- und dem Egerland betroffen, die von den vier Besatzungszonen Deutschlands aufgenommen wurden. Laut Wikipedia waren das in der sowjetischen Besatzungszone etwa 24 Prozent, in der amerikanischen Besatzungszone etwa 18 Prozent, in der britischen knapp 15 Prozent der Bevölkerung. Nur in der französischen Besatzungszone nahmen die Vertriebenen einen Anteil von einem Prozent an der Bevölkerung ein.
Die Bundesrepublik und die DDR standen damals vor einer unlösbar scheinenden Herausforderung. Durch die Bevölkerungsverschiebungen verdoppelten einige Länder und DDR-Bezirke wie Mecklenburg ihre Einwohnerzahl. In vormals konfessionell homogenen Regionen mit starken eigenen Traditionen – zum Beispiel Oberbayern und die Lüneburger Heide – lebten nun große Bevölkerungsgruppen mit anderem Lebensstil und fremder Konfession. Es entstanden sogar reine Flüchtlingsortschaften, die zum Teil Kleinstadtgröße erreichten.

Im Leben der Menschen waren das riesige quantitative und qualitative Veränderungen, deren erfolgreiche Meisterung weder zu Bürgerkriegen noch zu Verarmung führte; im Gegenteil: Schon wenige Jahre später setzte die junge Bundesrepublik – nicht von den sowjetischen Reparationsforderungen wie die DDR betroffen – zum auch vom Marshallplan begünstigten Wirtschaftswunder an.

Natürlich bleibt deswegen die jetzige Situation in Deutschland für die Menschen, vor allem für die vielen Helfer, eine große, ungewohnte Herausforderung.

Wirtschaftsflüchtlinge haben hier nichts zu suchen, sie sollen wieder abgeschoben werden.
Klar: Wirtschaftsflüchtlinge haben kein Anrecht auf Asyl; das steht laut Genfer Flüchtlingskonvention nur jenen zu, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werden.

Dass sich dennoch massenhaft Menschen in wirtschaftlicher Not in Deutschland um Asyl bewerben, liegt hauptsächlich daran, dass für sie die »Asyl-Tür« die einzige Möglichkeit ist, eine Chance auf ein besseres Leben in Deutschland zu haben. Schuld daran sind jene politischen Kräfte in Deutschland – vor allem jene mit einem C im Parteinamen –, die sich beharrlich gegen die Einführung eines Einwanderungsgesetzes wehren. Mit dem könnte man aber, ähnlich wie in anderen Staaten, von vornherein Einwanderungsquoten nach den jeweiligen Bedürfnissen im eigenen Land regeln. Das Fehlen eines solchen Einwanderungsgesetzes provoziert also die große Zahl jener Asylbewerber, die eigentlich keine Chance auf Asyl haben. Insofern treiben viele »C-Politiker« ein abgefeimtes Propaganda-Spiel, denn sie selbst sind es, die den von ihnen als Asylmissbrauch diskreditierten Zustand mitverursachen.

Abgesehen davon ist es verlogen, in Armut lebende Menschen anderer Nationen mit dem abfällig ausgesprochenen Begriff »Wirtschaftsflüchtling« moralisch zu diskreditieren, wenn es doch an anderer Stelle völlig anerkannt ist, dass Menschen ihre Heimat verlassen, um in anderen Regionen, Ländern oder gar Erdteilen ein besseres Leben zu suchen.

Die deutschen, irischen, böhmischen und weiteren Europäer, die sich Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA eine bessere Existenz aufbauen wollten, der Süditaliener, der in Mailand oder Turin sein Leben auf sicherere Füße stellen wollte, der Cottbusser, Bautzener oder Greifswalder, der in den Westen zog, weil er im Osten keine Arbeit fand – sie alle waren und sind »Wirtschaftsflüchtlinge«. Ganz abgesehen von jenen DDR-Bürgern, die nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen einen Ausreiseantrag gestellt hatten; diese Menschen wollten ihre persönlich-wirtschaftliche Situation, die – im Vergleich zu jener von Menschen in den allermeisten Ländern der Welt – so übel nicht war, lediglich auf eine noch höhere Qualität heben. Wie stehen heute jene, die damals wegen des Fehlens von Bananen, gutem Gemüse und von Südfrüchten migriert sind, zu den Menschen, die heute aus der Ferne nach Deutschland wollen?

Der Islam gehört nicht zu Deutschland.

Diese Aussage gehört entweder zum Dümmsten oder zum Unverschämtesten der jüngeren Vergangenheit. Sie hat einen quantitativen, einen kulturell-qualitativen und einen politischen Aspekt.

Quantitativ: Zum Islam bekennen sich in Deutschland derzeit etwa 5 Prozent der Bevölkerung, was etwa 4 Millionen Menschen entspricht (Stand: 2012; Quelle: Wikipedia). Die Angaben variieren Wikipedia zufolge allerdings stark von 1,9 Prozent (Zensus 2011: Freiwillige Angabe) bis 7 Prozent (Schätzung der Deutschen Islamkonferenz 2012).
Wenn man die Behauptung quantitativ bewertet, so gehört analog das katholische Christentum nicht zu Sachsen (dort sind 3,6 Prozent der Bevölkerung katholisch), nicht zu Brandenburg (3,1 Prozent), nicht zu Mecklenburg-Vorpommern (3,3 Prozent) und nicht zu Sachsen-Anhalt (3,5 Prozent – Angaben der Deutschen Bischofskonferenz). Ab welcher Prozentzahl darf sich eine Religion zu einem staatlichen Gebilde zugehörig fühlen?

Kulturell-qualitativ: Dass unsere europäische Kultur ohne jahrhundertelang wirkende islamisch-arabische Einflüsse sich hätte so nicht entwickeln können, wurde schon häufig dargestellt – aber in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit kaum beachtet. Dass zudem besonders von Personen des öffentlichen Lebens die Begriffe »Abendland«, »Islam« und »Christenheit« meist plakativ und inhaltlich verwirrend verwendet werden, habe ich hier beschrieben.

Politisch: In heutiger Zeit die Fragestellung einschränkend nur auf Deutschland zu beziehen, wo es uns allen doch um die Zukunft Europas gehen sollte, ist Kleingeisterei und eines Politikers (un?)würdig.

Wir sind gegen die Islamisierung des Abendlandes.

Diese Behauptung hat etwas Richtiges und etwas Falsches.
Richtig ist: Aufklärerisches Denken gebietet, nicht nur gegen die Islamisierung, sondern auch gegen die Christianisierung, überhaupt gegen jede Tendenz einer Religionisierung eines Landes einzutreten. In unserer europäischen Kultur, die wesentlich auf dem Verflochtensein von Judentum, Christentum und Islam, aber eben mittlerweile auch ganz wesentlich auf den Leistungen der Aufklärung beruht, muss die politische Macht von Religionen Schritt für Schritt zurückgedrängt, der kulturelle und historische Wert dieser Religionen jedoch besser wertgeschätzt werden. Eine Religion wie die christliche, die in besonderer Weise verkirchlicht, also mit politisch wirksamen, Macht ausübenden Einrichtungen verknüpft ist, steht hier vor großen Herausforderungen.
Falsch ist die Nutzung des Begriffes »Abendland«, denn dieser Begriff verdunkelt die realen Einflüsse und Abläufe bei der Entstehung Europas.

Mathias Bäumel